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Friedrich Merz und die Illusion einer transatlantischen Chance

Friedrich Merz und die Illusion einer transatlantischen Chance
Foto von Mika Baumeister auf Unsplash

Friedrich Merz bezeichnet die erneute Präsidentschaft Donald Trumps als Chance für Europa. Seiner Einschätzung nach bringt Trump „Klarheit“ und eine „berechenbare“ Politik, die Europas Eigenständigkeit und Verteidigungsfähigkeit stärken könnte. Doch diese Aussagen offenbaren eine gefährliche Fehleinschätzung geopolitischer Realitäten, die nicht nur Trumps bekannte Agenda ignoriert, sondern auch die strategischen Herausforderungen Europas unterminiert.

Die Realität hinter Trumps „America First“-Politik

Trump hat nie einen Hehl aus seiner Sicht auf internationale Beziehungen gemacht: Die USA stehen für ihn stets an erster Stelle. In seiner ersten Amtszeit zeigte sich dies durch die Einführung von Strafzöllen, die Abkehr von multilateralen Abkommen wie dem Pariser Klimaschutzabkommen und eine konsequente Schwächung internationaler Organisationen wie der NATO. Seine wiederholten Forderungen nach höheren Verteidigungsausgaben der europäischen Staaten sind weniger Ausdruck eines partnerschaftlichen Ansatzes, sondern vielmehr ein Druckmittel, um die transatlantische Abhängigkeit zugunsten der USA auszunutzen.

Aktuell verdeutlicht Trump diesen Kurs noch stärker. Seine aggressiven Äußerungen zu geopolitischen Themen – von der Idee, Grönland zu kaufen, bis hin zu seiner scharfen Kritik an Deutschland – unterstreichen, dass er Europa nicht als Verbündeten sieht, sondern als Konkurrenten. Angela Merkel brachte es jüngst auf den Punkt: „Trump glaubt nicht an Win-Win-Situationen, sondern daran, dass es immer einen Sieger und einen Verlierer gibt.“

Merz’ Behauptungen im Realitätscheck

Merz’ These, Trump sei „kalkulierbar“ und „gut einschätzbar“, trifft in der Theorie zu. Trump handelt oft nach seinen Ankündigungen. Doch das bedeutet nicht, dass diese Handlungen im Interesse Europas liegen. Vielmehr erweist sich diese Berechenbarkeit als Bedrohung, da sie auf eine Politik hinausläuft, die unilateral, protektionistisch und von einem Nullsummen-Denken geprägt ist. Trumps wiederholte Forderungen, Europa müsse mehr in die USA investieren und gleichzeitig mehr für Verteidigung ausgeben, stehen in direktem Widerspruch zu einem Ziel, das Merz selbst formuliert: Europas Eigenständigkeit zu stärken.

Noch problematischer ist Merz’ Vorschlag, Rüstungsprojekte künftig effizienter zu gestalten, etwa durch den gemeinsamen Einkauf von Waffen in den USA. Zwar ist die europäische Rüstungsindustrie tatsächlich durch ineffiziente Strukturen und mangelnde Kooperation belastet, doch die Lösung kann nicht darin bestehen, sich weiter in Abhängigkeit von den USA zu begeben. Eine solche Strategie würde die europäische Souveränität schwächen, nicht stärken.

Fehlende Substanz und politische Unerfahrenheit

Merz bleibt Antworten auf zentrale Fragen schuldig: Was will er Trump konkret anbieten? Wie soll eine Verhandlungsposition auf Augenhöhe erreicht werden? Was sind die langfristigen Ziele seiner Strategie? Diese Konzeptlosigkeit ist kein Zufall, sondern spiegelt die politische Unerfahrenheit von Merz wider. Anders als viele seiner Vorgänger in der CDU hat er nie eine Regierungsverantwortung getragen, nie außenpolitische Verhandlungen geführt und nie eine wirtschaftliche Krise von nationaler Tragweite bewältigt.

Seine Erfahrungen bei BlackRock oder in der EVP-Parteienfamilie mögen ihm Einblicke in wirtschaftliche und politische Prozesse verschafft haben, doch sie ersetzen nicht die praktischen Fähigkeiten, die in geopolitischen Krisenzeiten erforderlich sind. Angesichts der aktuellen Herausforderungen – von Russlands Krieg gegen die Ukraine bis zu den Spannungen zwischen China und Taiwan – reicht politisches Wunschdenken nicht aus.

Innenpolitische Herausforderungen und strategische Schwächen

Die innenpolitische Perspektive verschärft die Problematik. Sollte die CDU die nächste Bundestagswahl gewinnen, wäre sie voraussichtlich auf zwei Koalitionspartner angewiesen, da die AfD keine Option darstellt. Doch Merz sendet bislang weder klare Signale in Richtung der Grünen noch der SPD. Ohne ein stabiles Regierungsbündnis könnte Deutschland seiner Führungsrolle in Europa kaum gerecht werden – eine Entwicklung, die Trump in seiner antieuropäischen Agenda nur begünstigen würde.

Europas Weg: Souveränität und Einigkeit statt Abhängigkeit

Die Vorstellung, Europa könne von Trumps Präsidentschaft profitieren, verkennt die Realität. Europa braucht keine Anleitung von außen, sondern die Fähigkeit, seine eigenen Interessen zu definieren und durchzusetzen. Dies erfordert eine Stärkung der europäischen Verteidigungs- und Wirtschaftspolitik, eine klare Ausrichtung auf strategische Autonomie und eine engere Kooperation zwischen den EU-Mitgliedstaaten.

Ein geeintes Europa mit einer starken eigenen Position ist der einzige Weg, um in einer zunehmend multipolaren Welt bestehen zu können. Abhängigkeiten von den USA – ob wirtschaftlich oder militärisch – gefährden diese Entwicklung. Merz’ Vorschläge hingegen laufen darauf hinaus, Europa weiter in diese Abhängigkeit zu führen, anstatt seine Eigenständigkeit zu fördern.

Ein gefährlicher Irrweg

Merz’ Aussagen mögen auf den ersten Blick optimistisch klingen, doch sie entbehren jeder strategischen Substanz. Seine Annahme, Trumps Rückkehr könne Europa stärken, basiert auf Wunschdenken und verkennt die geopolitischen Realitäten. Europa sollte sich nicht an Trumps unberechenbare Unterstützung klammern, sondern aus eigener Kraft stark werden. Nur so kann es die Herausforderungen der Zukunft bewältigen – und sich in einer Welt behaupten, in der Verlässlichkeit zunehmend zur Ausnahme wird.