12 min read

Bundeskanzler zweiter Wahl

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik scheitert ein Kanzlerkandidat im ersten Wahlgang – und ausgerechnet einer, der nie daran zweifelte, dass dieses Amt ihm zusteht.
Bundeskanzler zweiter Wahl
© Deutscher Bundestag / Thomas Imo / photothek

Gewählt wurde er nicht, weil seine Kandidatur begeisterte, sondern weil die Mehrheitsverhältnisse es zuließen. Nicht aus Überzeugung – sondern aus Koalitionspflicht. Im zweiten Wahlgang, nach einem historischen Fehlstart: Noch nie zuvor ist ein Kanzlerkandidat im Bundestag beim ersten Versuch durchgefallen.

Und ausgerechnet Friedrich Merz, der nie einen Zweifel daran ließ, dass dieses Amt ihm gewissermaßen zusteht, schrieb diese politische Fußnote der Geschichte. Dass er es dennoch ins Kanzleramt schaffte, liegt nicht an seiner Strahlkraft, sondern am Mangel an Alternativen – zumindest im eigenen Lager.

Nun regiert ein Mann, der so lange auf dieses Amt gewartet hat, dass er es offenbar mit einer Art Besitzanspruch verwechselt. Einer, der Führung für das Recht hält, sich nicht erklären zu müssen – und dabei übersieht, dass sich Vertrauen nicht aus Karrierejahren speist, sondern aus Haltung, Offenheit und dem Willen zum Zuhören.

Was Merz verkörpert, ist keine Zukunft, sondern ein politisches Echo: laut, klar, dominant – aber aus einer Zeit, in der Pluralität noch als Störung galt und Zweifel als Schwäche. Sein Verständnis von Ordnung ist bewundernswert – vor allem in seiner Resistenz gegenüber Komplexität. Während sich Deutschland längst diversifiziert, digitalisiert und neu sortiert, bleibt er dem Bild einer Republik verhaftet, in der es vor allem auf Klarheit ankommt: oben und unten, richtig und falsch, Leistung und Versagen.

Wer so denkt, verwechselt Stabilität mit Stillstand – und verweigert dem Fortschritt die Einladung.

Politik mit Aktendeckel

Friedrich Merz regiert mit dem Selbstverständnis eines Mannes, der Ordnung über alles stellt – und Wandel zunächst als Risiko begreift. Politik ist für ihn keine offene Bewegung, sondern ein System, das am besten funktioniert, wenn alle wissen, wo ihr Platz ist. Struktur schlägt Dynamik, Kontrolle schlägt Vertrauen.

Dieses Denken zeigt sich besonders deutlich dort, wo die gesellschaftliche Wirklichkeit längst weiter ist – etwa bei der Migration. Während führende Ökonomen, Demografen und mittelständische Arbeitgeber auf Zuwanderung als notwendige Antwort auf den demografischen Wandel verweisen, spricht Merz bevorzugt von „Systemüberforderung“, von Abschottung, und von Grenzen, die „nicht jeder überschreiten“ dürfe. Es ist die Sprache der Selektion – sachlich vorgetragen, aber mit politischer Tiefenwirkung.

Was dabei übersehen wird: Die eigentlichen Probleme liegen nicht in der Zuwanderung, sondern in ihrer mangelnden Gestaltung. Was fehlt, sind legale Zugangswege, pragmatische Integrationsangebote, schnelle Verfahren – und vor allem: ein positives Narrativ. Doch statt die Realität einer pluralen Gesellschaft aktiv zu gestalten, bedient Merz eher die Unruhe derer, die sich vor ihr fürchten. Das mag kalkuliert sein – aber es löst nichts.

Noch gravierender aber ist, was im politischen Betrieb zwischen Verteidigungshaushalt und Unternehmenssteuer offenbar zu kurz kommt: die Realität der Menschen, die dieses Land tragen. Der Koalitionsvertrag, auf den sich CDU und SPD geeinigt haben, liest sich wie eine Binnenvereinbarung zur Absicherung der Ordnung – nicht wie ein Plan für gesellschaftliche Erneuerung.

Was nicht vorkommt, sind:

  • bezahlbare Mieten,
  • explodierende Lebensmittelpreise,
  • Altersarmut trotz jahrzehntelanger Erwerbsbiografie,
  • unbezahlbare Heiz- und Stromkosten,
  • Unsicherheit in Zeiten geopolitischer Spannungen,
  • eine Klimakrise, die längst die Lebensrealität erreicht hat,
  • und das wachsende Gefühl vieler – vor allem älterer Menschen – in ihrem eigenen Land nicht mehr ganz zuhause zu sein.

Diese Nöte sind real. Sie sind diffus, vielfältig, emotional – und genau deshalb politisch so sprengstoffartig. Doch statt zuzuhören, zu gestalten, zu erklären, zieht sich die Koalition zurück in ein administratives Biotop, das zunehmend immun gegen Wirklichkeit scheint.

Dass inmitten dieser Entkopplung autoritäre Parteien an Zustimmung gewinnen, sollte niemanden überraschen. Die AfD erstarkt nicht trotz der Politik der Mitte – sondern weil sie sich für viele als unsichtbar, taub oder gleichgültig anfühlt sagen Wahlforscher und politische Psychologen seit Jahren.

Es wäre die Aufgabe eines Kanzlers, daraus Lehren zu ziehen. Nicht durch Anbiederung an radikale Ränder, sondern durch Repräsentation der Lebensrealitäten. Doch Merz scheint das Missverständnis zu kultivieren, man könne Demokratie sichern, indem man sie möglichst stark von der Gesellschaft abschirmt.

Was dabei übersehen wird: Demokratie lebt nicht von Distanz, sondern vom gemeinsamen Projekt. Ihre Missachtung beginnt nicht mit Verachtung – sondern mit Desinteresse.

Und genau dieses Desinteresse ist es, das derzeit Politikverdrossenheit in Wut, und Wut in Wählerstimmen verwandelt.

Wahlkampf in Schwarzweiß

Im Wahlkampf zeigte Friedrich Merz jene Qualitäten, für die seine Anhänger ihn schätzen – und jene Muster, die seine Kritiker beunruhigen. Er trat auf mit der Überzeugung eines Mannes, der Klarheit für Stärke hält und Komplexität für Zeitverschwendung. Seine Sprache war bestimmt, sein Ton schneidend, die Botschaft einfach: Deutschland brauche wieder Führung, Disziplin – und den Mut zur Wahrheit. Gemeint war meist seine eigene.

Dabei folgte Merz einem vertrauten Drehbuch: Kulturelle Konflikte wurden betont, gesellschaftliche Spannungen rhetorisch verdichtet, moralische Grenzen neu gezogen – nicht mit plumper Provokation, sondern mit kalkulierter Härte. Wer Gendern wichtig findet, galt als ideologisch; wer Migration nicht als Risiko betrachtet, als naiv; wer soziale Gerechtigkeit einforderte, als systemfern. Das „Wir“ in seinen Reden war exklusiv – und definierte sich vor allem durch das, was es nicht ist.

Es war ein Wahlkampf der Kontraste, nicht der Verbindungen. Schwarz gegen Bunt, Ordnung gegen Ambivalenz, Leistung gegen Anspruchsdenken. Wer sich nicht einordnen wollte, fiel durchs Raster. Wer sich nicht zugehörig fühlte, wurde zum Problem erklärt.

Was als Stärke verkauft wurde, wirkte auf viele wie moralische Selbstüberhebung: ein Ton, der nicht um Vertrauen wirbt, sondern sich ihm überlegen fühlt.

Statt Allianzen zu schmieden, wurden Gräben markiert – zwischen Stadt und Land, Elite und Volk, Normalität und Abweichung. In einer Gesellschaft, die nach neuen Gemeinsamkeiten sucht, verstärkte Merz das Gefühl, dass politische Zugehörigkeit heute wieder über Ausgrenzung funktioniert.

Und obwohl er dabei sprachlich unterhalb der rechtspopulistischen Schwelle blieb, schuf er diskursive Räume, in denen sich rechtes Denken auf sicherem Terrain fühlte. Nicht, weil er sich anbiederte – sondern weil seine Themenauswahl und Rhetorik dieselbe Richtung einschlugen: Kontrolle, Identität, Abgrenzung.

Das Ergebnis war ein Wahlkampf, der kein Vertrauen mobilisierte, sondern Unsicherheit ordnete. Einer, der mit Begriffen wie „Leistung“ und „Verantwortung“ hantierte, aber dabei vergaß, dass diese im Zweifel auch Empathie einschließen müssten.

Merz hat nicht gespalten, weil er laut war. Sondern weil seine Ruhe so unnachgiebig klang.

Ein Kabinett wie aus der Zeitkapsel

Wer wissen will, wie Friedrich Merz Politik denkt, sollte weniger auf seine Reden hören als auf die Menschen, die er mitgebracht hat. Dieses Kabinett ist kein Aufbruch – es ist eine Inventur. Die Auswahl der Ministerinnen und Minister liest sich wie ein Curriculum des Bekannten: bewährt, berechenbar, mit geringem Irritationspotenzial.

Im neu geschaffenen Ministerium für Digitales und Staatsmodernisierung sitzt mit Karsten Wildberger ein Mann, dessen bisherige Stationen in den Vorstandsetagen von E.ON und MediaMarktSaturn lagen. Ein CEO mit Effizienzinstinkt, klarer KPI-Sprache und einem Führungsstil, der in der Wirtschaft zweifellos funktioniert. Nur: Die Bundesrepublik ist kein Konzern. Und die deutsche Verwaltung schon gar nicht.

Wer glaubt, man könne den Staat digitalisieren wie eine Handelsplattform, wird in Berlin schnell mit einer anderen Realität konfrontiert: mit dem IT-Planungsrat, der in Zeitlupe entscheidet. Mit föderalen Strukturen, in denen sechzehn Landesfürstentümer ihre jeweiligen Prioritäten verteidigen wie Kulturgüter. Mit einer Vergabepraxis, die Bürokratie nicht abbaut, sondern züchtet. Und mit Gremien wie der FITKO, deren Daseinszweck oft mehr an Prozesspflege erinnert als an Wirksamkeit. Wildberger wird all das kennenlernen – spätestens, wenn die erste gute Idee in der Ausschreibungspflicht zerschellt. Vielleicht ist er dann der erste Digitalminister, der erkennt: Nicht der fehlende Wille ist das Problem. Sondern die Architektur des Systems.

Im Innenministerium regiert nun Alexander Dobrindt. Einer, der nie versuchte, seine Haltung zu verbergen – sondern stets stolz darauf war, sie möglichst unverrückbar zu gestalten. Dobrindt war nie ein Minister des Zuhörens, sondern des Durchziehens. Seine Vergangenheit als Bundesverkehrsminister ist ein Lehrstück in politischem Sendungsbewusstsein: Groß gedacht, viel angekündigt – und am Ende oft mehr Symbol als Substanz.

Sein ambitioniertestes Projekt, die PKW-Maut, wurde vom Europäischen Gerichtshof kassiert – ein Prestigeprojekt, das am Ende vor allem Rechtskosten, politische Reibung und internationalen Spott hinterließ. Breitbandausbau? Versprochen, priorisiert, aber strukturell nie entschlossen verfolgt. Die digitalpolitische Infrastruktur blieb in seiner Amtszeit eher als Leerstelle denn als Fortschritt in Erinnerung.

Nun also das Innenministerium. Ausgerechnet. Dobrindt ist damit zuständig für innere Sicherheit, Migration, Bürgerrechte – und all das in einer Zeit, in der Polarisierung und Vertrauensverluste das gesellschaftliche Klima prägen. Wer geglaubt hatte, es brauche an dieser Stelle Integrationskraft, Vermittlung und demokratische Resilienz, bekommt stattdessen einen Mann, der gern klare Kante zeigt, auch wenn der Kontext zartere Zwischentöne verlangt.

Seine Rhetorik bleibt gewohnt kantig: Wer über Staatsbürgerrecht spricht, klingt bei ihm schnell wie aus dem Verteidigungsausschuss. Wer Integration thematisiert, bekommt Rückkehrpolitik serviert. Dobrindt macht kein Hehl daraus, dass er für ein Leitbild eintritt, das mit Vielfalt wenig anfangen kann, solange sie sich nicht lückenlos einfügt.

Dass Merz ihm dieses Schlüsselressort anvertraut hat, sagt viel über das Weltbild dieser Koalition. Denn Dobrindt steht nicht für Verwaltungsmodernisierung oder Vertrauen in zivilgesellschaftliche Prozesse – er steht für Steuerung von oben, Disziplin im Ton, Machtdemonstration im Zweifel auch gegen das eigene Volk.

Für Bildung, Familie und Jugend ist nun Karin Prien zuständig – eine Frau, die sich selbst gern als „bürgerlich-liberal“ beschreibt, im Regierungskontext aber vor allem eines signalisiert: Rückkehr zu klaren Linien. Ihre bildungspolitische Vergangenheit in Schleswig-Holstein ist geprägt von Strukturreformen ohne große pädagogische Vision, von Verwaltungserfahrung statt didaktischem Aufbruch.

Prien ist keine Kulturkämpferin im klassischen Sinn – aber sie beherrscht das rhetorische Feuilleton: Gegen das Gendern, gegen eine „Überideologisierung“ von Schule, gegen überbordende Diversity-Debatten. Fortschritt, so scheint es, darf stattfinden – solange er sich ordentlich anzieht, grammatikalisch korrekt spricht und seine Hausaufgaben gemacht hat.

Doch gerade in der Bildungspolitik genügt es längst nicht mehr, Ordnung zu wahren. Die Herausforderungen sind existenzieller: Lehrpläne, die noch immer für analoge Lebenswelten konzipiert wurden, treffen auf eine Generation, deren Alltag von TikTok, generativer KI, medialem Überkonsum und schrumpfender Aufmerksamkeitsspanne geprägt ist. Die Fähigkeit, Informationen zu hinterfragen, Quellen zu verifizieren, Meinung von Manipulation zu unterscheiden – das ist kein Zusatzmodul, das ist die zentrale Überlebensfähigkeit der offenen Gesellschaft.

Medienkompetenz ist heute keine Kür mehr – sie ist Grundlage demokratischer Mündigkeit. Und doch fehlt ihr vielerorts eine systematische Verankerung im Bildungswesen. Ebenso wie das, was früher als selbstverständlich galt, heute aber wie ein Relikt klingt: der Erziehungsauftrag der Schule. Oder präziser: ihre Rolle als Begleiterin bei der Vermittlung von Werten, von Respekt, von Mitmenschlichkeit, von Anstand im besten Sinne.

In einer Welt, in der Algorithmen Aufmerksamkeit belohnen statt Einsicht, ist es Aufgabe der Bildung, den inneren Kompass zu schärfen – nicht nur das nächste Prüfungsformat. Doch Prien steht für ein Leitbild, das nicht die Frage stellt, was Schule künftig leisten muss, sondern wie sie das Gewohnte verteidigen kann. Für eine Familienpolitik, die weniger Teilhabe als Verlässlichkeit betont. Und für ein Gesellschaftsbild, das Vielfalt duldet, aber selten feiert.

Dass sie von Friedrich Merz mit genau diesem Ressort betraut wurde, spricht Bände. Es ist die Entscheidung für eine Politik, die Wandel nicht gestaltet, sondern auf Schienen zu setzen versucht. Möglichst geräuschlos. Möglichst geradeaus.

Im Landwirtschaftsministerium residiert nun Alois Rainer – ein Metzgermeister aus Niederbayern, CSU-Urgestein, bodenständig, traditionsbewusst. In gewisser Weise eine Idealbesetzung – wenn man Landwirtschaftspolitik vor allem als Klientelpflege begreift. Wer jedoch glaubt, das Agrarressort sei ein Randthema in dieser Legislatur, verkennt seine Bedeutung: Es geht hier nicht nur um Äcker und Höfe. Es geht um Klima, Ernährung, Gesundheit, Tierschutz – und letztlich um die Frage, ob Politik die Kraft hat, Lebensweisen neu zu denken.

Rainer stammt aus einem politischen und beruflichen Umfeld, in dem der Slogan ‚Fleisch ist ein Stück Lebenskraft‘ einst Leitsatz war – weniger als Metapher, mehr als wirtschaftliche Realität. Und obwohl längst klar ist, dass Massentierhaltung ökologisch ruinös, gesundheitlich riskant und ethisch fragwürdig ist, bleibt sein Tonfall erstaunlich gelassen – fast trotzig. Man müsse den Menschen das Schnitzel nicht madig machen, lautet die Verteidigungslinie. Doch darum geht es längst nicht mehr.

Niemand verlangt, dass der alte Fuchs künftig Sojaschnitzel lobt. Aber man erwartet zu Recht, dass ein Landwirtschaftsminister den Status quo nicht weiter romantisiert – und schon gar nicht subventioniert. Dass er erkennt, was die Forschung längst zeigt: dass tierische Überproduktion den Planeten belastet, dass unsere Ernährungspolitik eng mit der Zunahme chronischer Krankheiten verknüpft ist, und dass es ohne ein radikales Umdenken im Umgang mit Nutztieren keine ernstzunehmende Klimastrategie geben kann.

Der gesellschaftliche Diskurs ist dabei schon viel weiter als die Politik. Millionen Menschen reduzieren ihren Fleischkonsum, achten auf Herkunft, stellen Fragen nach Haltung und CO₂-Bilanz. Doch während in vielen Ländern neue Ernährungsleitbilder entstehen, reagiert der deutsche Agrardiskurs in weiten Teilen wie ein beleidigter Traditionsverein. Besonders dann, wenn der Lamndesminister aus Bayern lieber gegen „grüne Umerzieher“ und „vegane Hypermoral“ wettert, als die Zeichen der Zeit zu lesen.

Rainer ist dabei nicht allein das Problem – sondern Symptom eines Systems, in dem Interessensverbände seit Jahrzehnten die Agrarpolitik mitprägen und das den Wandel zu lange vertagt hat. Die politischen Strukturen in der Agrarpolitik sind fest verankert, von mächtigen Lobbyverbänden durchwirkt und tief in den Parteiapparaten verwurzelt. Doch genau das macht sie zu einem Prüfstein politischer Ernsthaftigkeit. Wer über Klimaschutz spricht, aber den Acker ausklammert, verfehlt das Ziel.

Dabei gäbe es genug zu tun: eine gezielte Förderung nachhaltiger Anbaumethoden, eine mutige Strategie gegen Lebensmittelverschwendung, ein gerechter Umbau der Subventionen weg von Fläche – hin zu Wirkung. Und nicht zuletzt: eine klare Linie beim Tierwohl, die diesen Namen verdient.

Dass Merz ausgerechnet einen Mann wie Rainer in dieses Amt setzt, zeugt von einem Verständnis von Landwirtschaft, das lieber auf Stallgeruch setzt als auf Reformkraft. Es ist ein Signal an die Vergangenheit – in einer Zeit, in der die Zukunft längst aufs Gaspedal tritt.

Was dieses Kabinett eint, ist nicht bloß Parteizugehörigkeit – es ist eine gemeinsame Sprache: sachlich, korrekt, autoritativ. Und eine geteilte Skepsis gegenüber gesellschaftlichem Wandel, der nicht durch Verwaltungsakte rückholbar ist.

Es ist ein Kabinett, das nicht anecken will – aber auch keins, das berühren kann. Man erkennt die Absicht: Sicherheit durch Verlässlichkeit. Aber die Wirkung ist eine andere: Stillstand durch Wiederholung.

Der auffälligste Kontrast im Regierungsteam bleibt Boris Pistorius – ein Minister mit Haltung, Resonanz und Führungsinstinkt. Er verkörpert, was viele bei Merz vermissen: Zugänglichkeit ohne Gefälligkeit. Während Pistorius mit direkter Sprache und sichtbarer Bodenhaftung punktet, verliert der Kanzler in den Umfragen – und zunehmend auch in der öffentlichen Einordnung seiner Rolle.

Denn dieses Kabinett will keine Polarisierung – aber es meidet auch die Zumutung von Diversität. Es fürchtet nicht das Chaos, sondern die Unübersichtlichkeit des Realen. Und es behandelt die Gegenwart wie einen Ausnahmetatbestand, den man besser managt als gestaltet.

Was Merz geschaffen hat, ist keine Regierung für ein neues Deutschland – sondern ein Bollwerk gegen dessen Unberechenbarkeit. Und wer Politik so versteht, darf sich nicht wundern, wenn er draußen auf eine steife Brise trifft. Sondern nur, dass sie von innen nicht bemerkt wurde.

Die Kunst, sich selbst zu glauben

Es gibt Politiker, die überzeugen – und solche, die sich durchsetzen. Friedrich Merz gehört zweifellos zur zweiten Kategorie. Er tritt auf wie jemand, der weniger regiert, als dass er die Realität instruiert – mit fester Stimme, geradem Rücken und dem Habitus eines Mannes, der selten irrt, gelegentlich übergangen wird und nie zweifelt.

Diese Attitüde hat ihm in Teilen der Wirtschaft, bei konservativen Stammwählern und in strategischen Parteizirkeln Respekt verschafft – nicht unbedingt für seine Inhalte, aber für seine Disziplin. Doch Respekt ist nicht dasselbe wie Zustimmung. Und Überzeugung ist nicht gleich Überzeugungskraft.

Merz spricht nicht zu seiner Zeit, sondern durch sie hindurch. Seine Reden wirken oft wie Botschaften aus einem politischen Hochsitz, von dem aus er die Gegenwart taxiert – skeptisch, analytisch, manchmal gönnerhaft. Im Wahlkampf wich er schwierigen Fragen nicht aus, sondern sprach sie schlicht nicht als solche an. Kritik perlte an ihm ab, nicht weil sie ungerecht gewesen wäre, sondern weil sie offenbar nie eingeplant war.

Merz ist kein Blender. Aber er ist ein Taktiker – und das macht ihn schwer fassbar. Vieles, was er sagt, wirkt weniger wie Ausdruck innerer Überzeugung als wie kalkulierte Kontrastfolie zur politischen Konkurrenz. Migration, Klimapolitik, soziale Gerechtigkeit – er formuliert nicht, was nötig ist, sondern was stört. Und das mit einer rhetorischen Gewissheit, die oft mehr Eindruck hinterlässt als Substanz.

Er glaubt vermutlich nicht alles, was er sagt. Aber er sagt es mit einer solchen Sicherheit, dass es schwerfällt, ihn zu widerlegen, ohne wie ein Zweifler zu wirken – und das ist, in einer mediatisierten Demokratie, eine beachtliche politische Fähigkeit.

Dabei wäre gerade heute die Fähigkeit gefragt, Ambivalenzen zuzulassen, Komplexität anzuerkennen, Unsicherheit einzugestehen, ohne Führung zu verlieren. Doch Merz bleibt sich treu – er regiert nicht mit dem Ohr an der Gesellschaft, sondern mit dem Blick auf das eigene Weltbild. Und das wirkt auf viele nicht kraftvoll, sondern entrückt.

Vielleicht ist das das wahre Talent von Friedrich Merz: Nicht, dass er an alles glaubt, was er sagt – sondern dass er es mit einer Überzeugung sagt, die andere an seinem Glauben zweifeln lässt.

Zwischen Zynismus und Zäsur

Friedrich Merz ist nun Bundeskanzler. Gewählt im zweiten Anlauf, getragen von einer Koalition, die rechnerisch möglich war, aber politisch kaum leuchtet. Es ist ein Amtsantritt, der weniger Aufbruch markiert als einen Stillstand mit Regierungssiegel. Eine Regierung, die vor allem das Versprechen abgibt, niemandem zu viel zuzumuten – und dabei riskiert, niemanden mehr wirklich zu erreichen.

Die Herausforderungen, vor denen dieses Land steht, sind epochal: demografischer Wandel, geopolitische Instabilität, eine Klimakrise, die längst ins Soziale wirkt, ein Bildungssystem, das im 20. Jahrhundert verharrt, und ein Vertrauensverlust in demokratische Institutionen, der nicht länger ignoriert werden kann. Und doch wirkt diese Regierung, als wolle sie all dem mit einer Mischung aus Verwaltungsakt, Wohlverhalten und Durchhalteparole begegnen.

Merz regiert nicht gegen das Heute – aber scheinbar auch nicht für das Morgen. Er wirkt wie ein Mann, der sich seine Zeit zurechtrückt, bis sie wieder zu ihm passt. Doch die Welt wartet nicht. Und sie verändert sich gerade schneller, als politische Betriebsamkeit Schritt halten kann.

Der Zynismus beginnt dort, wo Politik nur noch auf Machbarkeit zielt, nicht mehr auf Wirkung. Wo Kanzler und Kabinett vor allem eigene Kreise befriedigen, statt gesellschaftliche Antworten zu formulieren. Wo das Handeln dem Kalkül folgt – und die Lücke zur Lebensrealität der Menschen immer größer wird.

Gerade darin liegt die eigentliche Gefahr: dass der Vertrauensverlust in demokratische Gestaltungskraft nicht zur Apathie führt, sondern zur Anfälligkeit für autoritäre Verführer. Dass der Missmut über politische Realitätsverweigerung denen Auftrieb gibt, die nicht mehr debattieren wollen, sondern ausgrenzen. Die AfD ist dabei keine Alternative – sie ist ein Angriff. Und wer dem nicht entgegentritt, macht sich mitverantwortlich für den Schaden.

Und dennoch: Vielleicht ist gerade diese Regierung die Zäsur, die es braucht, damit neue politische Kräfte, Ideen, Bewegungen sichtbar werden. Vielleicht macht erst diese bleierne Ernsthaftigkeit die Dringlichkeit echten Wandels spürbar. Vielleicht ist Friedrich Merz nicht der Fehler im System – sondern der letzte Ausdruck eines Systems, das an seine Grenzen gekommen ist.

Was bleibt, ist ein Kanzler, der an sich glaubt. Und ein Land, das spürt, dass das nicht reicht. Manchmal wirkt er wie ein Wirtschaftsprüfer auf einem Kindergeburtstag: korrekt, nüchtern, effizient – aber vollkommen fehl am Platz.